„Vorsicht vor dem Veurnse Stier, passt gut auf!“ Gastgeberin Monica vom Esenkasteelhoeve kann ihr Lächeln nicht unterdrücken, als ihr Kommentar für staunende Blicke sorgt. Ein Stier? An dem müssen wir unterwegs vorbei? Aber das sollte kein Problem sein: „Veurnse Stier“ ist der Spitzname für einen Wind in dieser Region, der Westhoek. Wenn man Pech hat, kann dieser Wind stürmen und brüllen. Und dann kommt er noch direkt von vorne. Aber wir haben auf unserer Tour wirklich Glück, denn der Stier hält sich zurück, und fast bei Windstille radeln wir durchs hügelige Heuvelland. Die Landschaft verändert sich ganz langsam, und immer öfter geht es ganz leicht bergauf. Irgendwann frage ich mich, ob ich es mir nur einbilde oder ob das Radeln heute wirklich anstrengender ist als an den letzten Tagen. Doch bald sind die Hügel deutlich zu erkennen und ein Anstieg folgt auf den nächsten.
Die Spuren des Weltkriegs sind bis Ypern und weit darüber hinaus deutlich sichtbar. Wir passieren das Gedenktor „Menenpoort“ und stellen mit Bedauern fest, dass wir diesen Ort nicht zur richtigen Zeit erreicht haben: Wären wir gestern Abend hier angekommen, hätten wir um acht Uhr „The Last Post“ hören können, das tägliche Gedenken an alle Gefallenen. Diese Tradition hinterlässt bei jedem einen tiefen Eindruck, unabhängig davon, ob man es zum ersten Mal hört oder bereits öfter erlebt hat.
Aber heute können wir nicht darauf warten. Wir fahren durch das Tor und lassen die Weltkriegsgeschichte hinter uns. Dann radeln wir noch eine letzte Schleife durchs Heuvelland und um den Kemmelberg, den wir Gott sei Dank nicht mit unserem ganzen Gepäck besteigen müssen. Bei Wervik überqueren wir die Grenze und fahren ein kleines Stück durch Frankreich an der Leie entlang, die hier La Lys heißt, und kommen bei Menen wieder nach Flandern zurück. Jetzt geht‘s an Wevelgem vorbei und es ist nicht mehr weit bis Roubaix. Diese Landschaft sehe ich jedes Frühjahr im Fernsehen, wenn aus dem Hubschrauber über den Profi-Radrennfahrern die schönsten Bilder von der Flandernrundfahrt gezeigt werden.
Nach gut hundertdreißig Kilometern sind die Beine für heute richtig müde und wir haben unser Etappenziel Kortrijk erreicht. Auf dem Grote Markt genießen wir noch ein typisches Bier, ein Super8 Flandrien, bevor wir einen Spaziergang durch den Beginenhof unternehmen. Doch jetzt müssen sich erst einmal unsere Beine erholen, denn morgen warten neue Abenteuer auf uns.